19.02.21

Influencer: Traumjob oder ein Leben unter Druck?

Sie müssen immer präsent sein und für ihren Lebensunterhalt „Gefällt mir“ Angaben sammeln: Influencer. Warum ihr Job oft mehr als nur ein paar Bildchen machen ist - sondern harte Arbeit.

 
 

Influencer sind keine Roboter

Wenn ich morgens mit dem falschen Bein aufgestanden bin, Stress mit dem Partner habe oder trauere, dann muss ich in der Regel dennoch zur Arbeit gehen. Nicht anders ist das für Influencer, also Menschen, die auf sozialen Netzwerken bekannt sind und dadurch einen großen Einfluss auf die Identitäts- und Meinungsbilder ihrer Fans haben. Vielleicht müssen die ganz „Großen“ sich nicht zur Bahn und auf ihren Bürostuhl schleppen, aber abliefern müssen sie genauso, um ihr Geld zu verdienen.
Oft wird von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, aber viel mehr erwartet und, wenn wir ehrlich sind, können sie es uns auch oft nicht recht machen. Auf der einen Seite sind wir neidisch auf ihre vermeintliche Perfektion, die makellosen Bikinibilder und zwanzig Urlaube im Jahr. Wenn wir durchschaut haben, dass der Beruf des Influencers ein Job mit einer Marketingstrategie (Influencer Marketing) ist, verurteilen wir sie dafür. Manche Influencer stellen sich auf der anderen Seite betont „menschlich“ dar, mit zerzausten Haaren und Pickeln; sie dokumentieren ihre Streits mit dem Ex oder kommunizieren offen, wie hart es ist, Kinder zu erziehen. Ihnen werfen wir dann entweder vor, dass ihre Authentizität, die oft mit dem Hashtag #nofilter betont wird, auch nur eine Strategie ist oder wir sind gar nicht erst interessiert. Denn wir lieben doch die Scheinwelt auf der anderen Seite. Wir wollen doch dellenlose Oberschenkel, Matcha-Kaffee-Becher, Islandreisen und immer lachende Babys.

 

Influencer sein ist auch nur ein Job

Klar sein muss uns, dass Influencer nicht von Luft und Liebe leben, sondern sich auch ihren Lebensunterhalt sichern müssen. Das tun sie zum Beispiel durch sogenanntes Product-Placement: Eine Marke, eine Kosmetikfirma, ein Hotel bezahlt Influencer dafür, für ihr Produkt zu werben, indem sie es in ihrem alltäglichen Leben verwenden und damit die Menschen, die ihnen folgen, in ihrer Kaufentscheidung zu beeinflussen. Das funktioniert aber nur, wenn Influencer auch attraktiv für Unternehmen sind, es sich für sie also lohnt, Geld auszugeben. Je höher die Reichweite eines Influencers, je mehr Menschen er oder sie „beeinflusst“, desto mehr Geld investieren Firmen in die Person. Diese Reichweite erzielen sie durch Likes, also „Gefällt-mir Angaben“, Kommentare und Interaktionen. Im Inhalt richten sie sich demnach auch nach der Nachfrage (der Marken und der Follower). Wenn Bibi, Bobby und Babbi also alle ihr Geld mit Make-up-Tutorials oder Werbung für Bambustrinkflaschen verdienen wollen, dann nickt ihnen die freie Marktwirtschaft da eindeutig aufmunternd zu.

 

Der Kampf um Anerkennung eines Influencers

Ein anderer Aspekt des Sammelns von Likes und Followerzahlen ist die persönliche Anerkennung. Wenn die roten Herzen, also das „Gefällt mir“ ausbleiben, kann das bei den Influencern ganz schön am Selbstwert kratzen – weshalb? Weil sich trotz Product-Placement ein Mensch hinter dem Instagram oder Facebookprofil befindet, und zwar in den meisten Fällen ein einzelner Mensch, keine Firma. Wie viele andere Berufsgruppen, die in der Öffentlichkeit stehen (Schauspieler*innen, Sänger*innen…) genießen Influencer eine Art Ruhm, der süchtig machen kann. Das heißt, nicht nur wir definieren uns, indem wir uns mit unseren Influencer-Vorbildern vergleichen, sondern viele von ihnen definieren sich und ihren Wert über die Anzahl und das Urteil ihrer Fans.
Unter anderem auch deshalb, weil Influencer so eng mit diesen verbunden sind. Um nahbar zu sein, um das Gefühl einer „Gemeinschaft“ zu vermitteln, versuchen viele Influencer auf jeden Kommentar und jede Nachricht zu antworten, was bei einer Followerzahl von mehreren tausenden ganz schön viel Kraft kosten kann. Sie müssen sich täglich nicht nur mit Lob, sondern auch mit – nicht immer konstruktiver, sondern auch beleidigender - Kritik befassen.
Der immense Druck, der auf Influencern lastet, kann zu Burnout, Depression und Panikattacken führen: Immer mehr YouTuber zum Beispiel müssen sich nach einer Weile im Geschäft Auszeiten nehmen, weil sie mit dem Druck nicht klarkommen. Sagt Florentin Schumacher in seinem Artikel über die gesundheitlichen Aspekte des Influencers-Berufs.

 

Traumjob Influencer für Jugendliche?

Natürlich ist es die freie Entscheidung eines jeden Influencers, diesen Job überhaupt zu ergreifen oder nicht. Da viele von ihnen aber sehr jung anfangen, fehlt ihnen hier manchmal das reflektierte Herangehen an so eine Arbeit in der Öffentlichkeit und schon befinden sie sich in einem Leben, das von Followerzahlen gekennzeichnet ist. Gerade wenn Kinder und Jugendliche noch selbst in der Identitätsfindung stecken, kann es gefährlich werden, wenn sie sich über die Anerkennung oder Ablehnung von einer im Endeffekt anonymen Interessensgruppe in einer virtuellen Welt definieren.
Auch hier ist es hilfreich, gemeinsam mit dem oder der Jugendlichen den Berufswunsch des Influencers näher zu betrachten und die möglichen Konsequenzen zu reflektieren.

Wie bei so vielem in der Welt ist es sinnvoll, auch im Hinblick auf unsere Influencer-Vorbilder die Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Angehende „Beeinflusser“ sollten sich überlegen, was diese Art von Job mit sich bringt, welche Gefahren, aber auch tolle Möglichkeiten er birgt, wen sie überhaupt erreichen wollen und wie sie ihren Einfluss reflektiert einsetzen wollen. Influencer oder solche, die es werden wollen, sollten kritisch hinterfragen, das Ganze vielleicht etwas weniger ernst nehmen und sich davor schützen, sich selbst in ihrer virtuellen Rolle zu verlieren oder zu denken, dass rote Herzchen und „Gefällt mir“ Angaben den eigenen Wert bestimmen. „Beeinflusser“, sowie Follower sollten sich außerdem bewusst machen, dass der „Traumjob Influencer“ eben genau dieses ist: ein Job.

Autorin: Corinna Schmid

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