Gemeinsam digital – Teilhabe für ALLE?!

Wie können vulnerable Gruppen an unserer zunehmend digitalisierten Lebenswelt gleichermaßen teilnehmen? So lautete das Thema der 44. Stuttgarter Tage der Medienpädagogik am 16.03.2022. 

Digitale Teilhabe

@Canva

Digitalisierung in vulnerablen Gruppen

In Zusammenhang mit der Corona-Pandemie hat sich in den vergangenen zwei Jahren gezeigt, dass digitale Teilhabe unmittelbar mit sozialer Teilhabe und sozialem Austausch verbunden ist. Doch auch generell bestimmt die Digitalisierung zunehmend alle Lebensbereiche. Für vulnerable Gruppen, wie zum Beispiel ältere oder behinderte Menschen, ist der Zugang und die Nutzung von digitalen Geräten, wie zum Beispiel Smartphones, Laptops oder Tablets, erschwert. Wie kann digitale Teilhabe für vulnerable Gruppen gestaltet werden? Welchen medienpädagogischen Ansätze und Strategien gibt es?

Im folgenden Blogbeitrag soll dieses Thema anhand der Workshop- und Vortragsinhalte der Stuttgarter Tage der Medienpädagogik vorgestellt und erläutert werden.

 

Was sind vulnerable Gruppen?

Vulnerabilität bedeutet Verletzbarkeit oder Verwundbarkeit. Vulnerable Gruppen in unserer Gesellschaft basieren auf verschiedenen Aspekten, wie Alter, Geschlecht, Behinderungen, Sexualität und soziale oder nationale Herkunft. Doch warum haben Menschen, die einer vulnerablen Gruppe angehören, überhaupt Nachteile in unserer Gesellschaft? Weil die Teilnahme an allen sozialen Aktivitäten nicht uneingeschränkt für alle Menschen bzw. Menschengruppen zugänglich ist. Dazu gehört inzwischen auch die digitale Lebenswelt. Soziale und gesellschaftliche Regeln und Normen, sowie die daraus resultierende Ausgrenzung, verstärken die Vulnerabilität zusätzlich.

Wie sieht die Lösung aus? Alle Menschen sollen am gesellschaftlichen Leben gleichermaßen teilnehmen können. Noch sind wir an diesem Ideal nicht angekommen, doch das richtige Stichwort lautet hier Inklusion. Außerdem muss das Spektrum der pädagogischen Aufklärung und insbesondere der Unterstützung und Umsetzung von (digitaler) Teilhabe voll ausgeschöpft werden.

Angelehnt an den Vortrag „Digitale Teilhabe für vulnerable Gruppen“ von Dr. Markus Marquard, Universität Ulm und Prof. Dr. Ines Himmelsbach, KH-Freiburg

 

Menschen mit Behinderung

Medien wirken heutzutage auf alle Lebensbereiche ein. Umso wichtiger ist es, dass alle gesellschaftlichen Gruppen in Bezug auf die Möglichkeiten zur Mediennutzung berücksichtigt werden. Trotzdem ist es leider so, dass Behinderung mit Ungleichheit in Verbindung steht, denn die Nutzung verschiedener Medien ist für Menschen mit Behinderungen im alltäglichen Leben nicht immer barrierefrei möglich. Hier spricht man vom sogenannten „digital divide“. Zudem gibt es viele diskriminierende mediale Darstellungen von Personen mit Behinderungen. Genau wie bei Menschen mit Migrationsgeschichte, sollten die Lebenswelten behinderter Menschen adäquater in der Medienlandschaft präsentiert werden.

Soziale und mediale Barrieren müssen abgebaut werden, sodass Menschen mit Behinderung inkludiert werden können. Ein wichtiger technischer Ansatz in puncto Barrierefreiheit sind die assistiven Technologien, wie zum Beispiel Spracheingaben oder spezielle Bildschirmtastaturen. Wie Inklusion über die technischen Assistenztechnologien hinaus auszusehen hat, kann nicht allgemeingültig beantwortet werden. Als zentralen Faktor fließen hier die gesellschaftlichen Strukturen mit ein, doch viel wichtiger ist es einen Blick auf jede individuelle Person und deren Bedürfnisse zu werfen. Die inklusive Bildung beschäftigt sich mit der Frage, wo individuelle Barrieren im Hinblick auf Medienzugang und Mitgestaltung liegen. Mithilfe der praktischen Perspektive der Medienpädagogik sollen Menschen mit Behinderungen in ihrer Handlungsfähigkeit unterstützt werden.

Zusammenfassend bedeutet digitale Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, dass die Teilhabe AN (sicherer Zugang und Hilfestellung), DURCH (assistive Technlogien) und IN (adäquate Repräsentation) digitalen Medien ermöglicht wird.

Angelehnt an den Vortrag „Stichwort »Barrierearm« – Menschen mit Behinderung digital unterwegs“ von Dr. Jan-René Schluchter, PH Ludwigsburg

Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte

Menschen mit Migrationsgeschichte

@Canva

Medien, egal ob digital oder analog, sind der Zugang zu Informationen über unsere Gesellschaft und über die Politik. Um die Teilhabe an Medien zu ermöglichen, muss für alle Menschen ein Weg der Nutzung geschaffen werden. Gleichzeitig bedeutet mediale Teilhabe aber auch, dass individuelle Lebenswelten abgebildet werden. Informationen für und über alle Menschen gleichermaßen – mit und ohne Migrationsgeschichte.

Die Medienlandschaft in Deutschland berichtet überwiegend in deutscher Sprache. Diejenigen Personen, deren Deutschkenntnisse (noch) nicht so gut sind, sind somit in ihrer Teilhabe an der deutschen Medienlandschaft eingeschränkt. Insgesamt gilt: Je besser deutsch gesprochen wird, desto weniger werden Medien aus dem Heimatland oder in der Heimatsprache konsumiert. Es gibt bereits Angebote der Öffentlich-rechtlichen Medien, die Nachrichten und Informationen auch in anderen Sprachen veröffentlichen.

Doch mediale Teilhabe bedeutet eben nicht nur, die Informationen sprachlich verstehen zu können, sondern auch die Präsenz der Lebenswelten von Menschen mit Migrationsgeschichte innerhalb der Medien. Der bundesweite Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte liegt bei 27 Prozent, was einen großen Anteil unserer Gesellschaft ausmacht. Gleichermaßen sollten Kulturen, Werte und der Alltag von Menschen mit Migrationsgeschichte auch in den Medien repräsentiert werden, um Akzeptanz, Verständnis und Austausch zu schaffen. Eine weitere Lösung sind mehr zielgruppengerechte und länder- oder kulturspezifische Angebote. Damit einher geht auch die Diversität in Redaktionen: Der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in der redaktionellen Arbeit ist immer noch zu gering, doch Veränderung wird angestrebt: Alle ARD-Häuser haben das Ziel, die Diversität innerhalb der eigenen Redaktionen zu verbessern. Die Vielfalt richtig zu präsentieren und zu repräsentieren ist eine Herausforderung für die gesamte Medienlandschaft in Deutschland.

Angelehnt an den Vortrag „Mediennutzung von Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte“ von Anna Koktsidou, SWR

 

Ältere Menschen

Digitale Souveränität ist eine Grundvoraussetzung, um sich in unserer digitalen Medienwelt gut zurecht finden zu können. Jüngere Menschen, die vielleicht sogar schon mit digitalen Medien aufgewachsen sind, haben oft einen sicheren und souveränen Umgang mit diesen Geräten. Die digitale Teilhabe sollte unabhängig vom Alter in gleichem Maße für alle möglich sein. Erfreulicherweise nimmt die Digitalisierung unter den +65 Jährigen zu und der aktuelle Stand lässt sich sehen: Beispielsweise nutzen 72% der +65 Jährigen ein Smartphone und es gibt insgesamt nur 9% „Offliner“, die überhaupt nicht im Internet unterwegs sind. Der Grund dafür ist häufig, dass ältere Menschen weder beruflich noch privat einen Nutzen aus dem Internet ziehen können. Im Zuge des digitalen Wandels gibt es auch einige technische Neuerungen, wie Pflegerobotik und „smarte Rollatoren“, die der älteren Generation unter die Arme greifen.

Doch welche individuellen digitalen Hürden gibt es für ältere Menschen und wie kann man diese abbauen? Beispielhafte Herausforderungen für Menschen höheren Alters sind das Vergessen von Passwörtern oder die erschwerte Bedienung eines Tablets; meist wurde aber auch der Anschluss an die digitalen Medien verpasst. Die Folgen dieser kognitiven und psychischen Einschränkungen können Ausgrenzung und Einsamkeit sein. Was ist jetzt die richtige Strategie, um gegen die Vulnerabilität vorzugehen? Medienschutz und Medienkompetenz sind hier die zentralen Stichwörter. Ältere Menschen sollten im Umgang mit digitalen Medien (pädagogisch) begleitet und beschützt werden. Gleichzeitig müssen sie herausgefordert werden, um selbstsicherer und souveräner in der digitalen Welt zu werden. Dabei ist es wichtig zu bedenken, dass digitale Teilhabe für ältere Menschen nicht nur das Erlernen des technischen Know-Hows bedeutet. Die Entscheidung für oder gegen das Nutzen von digitalen Medien hängt ganz individuell von Sinn und Zweck für eine ältere Person ab.

Angelehnt an den Vortrag „Altern digital. Gut oder schlecht?“ von Prof. Dr. Hans-Werner Wahl, Universität Heidelberg

 

Sozial benachteiligte Familien

Nicht jede Familie in Deutschland ist gleichermaßen mit (digitalen) Medien und Technologien ausgestattet. Das liegt zum einen an individuellen Kompetenzen und Möglichkeiten, aber auch am Umfeld oder der Situation der jeweiligen Familie. Insbesondere in Zeiten der Corona-Pandemie stehen viele Familien vor Herausforderungen wie Home Office, beengte Raumsituationen und weniger Einkommen. Trotzdem ist nicht selten zu beobachten, dass Kinder mit Medien und digitalen Technologien ausgestattet sind – zumindest teilweise. Grund dafür ist der soziale Anschluss. Die hohe Mediennutzung während der Corona-Pandemie ist vor allem auf Social Media oder Gaming zurückzuführen. Die Pandemie greift in den sozialen Alltag der Kinder ein und unterbindet soziale Kontakte und Austausch, sodass eine Flucht oder Kompensation in oder über die mediale Welt erfolgt. Kinder suchen auf diese Weise Anerkennung, Freunde und Zugehörigkeit.

Familien stehen nun vor der Herausforderung der erhöhten Mediennutzungszeiten ihrer Kinder und der monetären Herausforderung für entsprechende digitale Geräte. Außerdem birgt die Medienwelt auch Gefahren für Kinder, wie Cybergrooming und -bullying. Um all diesen Herausforderungen richtig begegnen zu können, ist es wichtig einen Weg für eine gute Medienerziehung zu finden, insbesondere in Ausnahmesituationen wie der Pandemie. Mediennutzung ist keinesfalls prinzipiell schlecht für Kinder, im Gegenteil, Medien dienen der Information und ermöglichen sozialen Austausch. Für die Eltern lautet die Aufgabe deshalb ihren Kindern und deren Mediennutzung aktive Aufmerksamkeit zu schenken. Kinder brauchen mediale Begleiter und jemand, der oder die sie vor Gefahren und Risiken bewahren kann. Wichtig ist auch, dass sich Eltern mit dem Kinder- und Medienschutz auseinandersetzten und damit, welche medialen Angebote für welches Alter geeignet sind.

Angelehnt an den Vortrag „Der Armuts-Virus: Digitalisierung und sozial benachteiligte Familien währen der Corona-Pandemie“ von Dr. Iren Schulz, Universität Erfurt

 

Praktische Hinweise und Ausblick

Digitalisierung

In Zeiten des digitalen Wandels soll allen gesellschaftlichen Gruppen die digitale Teilhabe ermöglicht werden. Um einen praxisnahen Einblick in die Umsetzung verschiedener Projekte zu bekommen, empfehlen wir Ihnen das online zur Verfügung gestellte Material der Foren der Stuttgarter Tage der Medienpädagogik. Von praktischen Tipps für Senior*innen, über Lernapps und digitale Escape-Rooms, bis hin zu Best-Practise-Beispielen ist alles mit dabei.

Im Umgang mit digitalen Medien ist die Vermittlung von Selbstbestimmung und Autonomie zentral, unabhängig von Migrationsgeschichte, Alter, Behinderungen oder sozialer Status. Es gibt bereits viele medienpädagogische Ansätze, welche die digitale Teilhabe von vulnerablen Gruppen fördern. Auch wenn wir noch nicht am Ideal angekommen sind, ist die Auseinandersetzung mit dieser Thematik, sowie der Ausbau der medienpädagogischen Arbeit ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

 

 


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