Die Zeiten gendern sich: Inklusion online
Medien tragen eine gesellschaftliche Verantwortung, vor allem wenn es um den Sprachgebrauch geht, der auch unsere soziale Wahrnehmung formt. Gleichzeitig schafft die Gendersprache weitere Barrieren für blinde und sehbehinderte Menschen. Können Barrierefreiheit und gendergerechte Sprache in den sozialen Medien so überhaupt vereint werden?
@canva
Gendern – was ist das eigentlich?
Sprache formt unsere gesellschaftliche Wahrnehmung, allen voran, was geschlechterspezifische Stereotype, gemeinsame Werte und Denkmuster betrifft. Das generische Maskulinum, also männliche Personenbezeichnungen wie z. B. Leser oder Mitarbeiter, gilt jedoch noch heute als gängigste Sprachform, die auch dazu verwendet wird, Personen anderer Geschlechtsidentitäten anzusprechen. Vor allem in den letzten Jahren hat diese (rein sprachliche) männliche Bezeichnung aller Personen zu großer Kritik geführt und wird als Symbol der Diskriminierung von Frauen gewertet. Zudem leben allein in Deutschland um die 160 000 intergeschlechtliche Menschen (Quelle Tagesspiegel) und viele weitere Personen, die sich als nicht-binär (weder als männlich noch weiblich) verstehen und sich somit von den gängigen männlichen Bezeichnungen ebenfalls ausgeschlossen fühlen.
Das Gendern, auch gendersensible oder geschlechtergerechte Sprache genannt, bemüht sich daher geschlechterspezifische Benachteiligungen abzubauen und in ihrer Sprachform möglichst alle Geschlechter abzubilden. Ziel der inklusiven Sprache ist es, Geschlechtergerechtigkeit zu fördern und durch respektvolle Ansprache geschlechtsbezogene Diskriminierung abzubauen.
Doppelnennungen, neutrale Formulierungen und die Verwendung von Genderzeichen – in den letzten Jahren haben sich unterschiedliche Formen der geschlechtergerechten Sprache entwickelt. Einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Arten finden Sie in diesem Artikel.
Kurzüberblick: Gendern mit Zeichenformen
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Der Doppelpunkt – Leser:innen
Der Doppelpunkt ist die beliebteste Genderform, da der Schreibfluss der Leser:innen am wenigsten unterbrochen wird. Viele offizielle Kanäle, wie zum Beispiel die Tagesschau, nutzen diese Form der Gendersprache. Der Doppelpunkt in der Mitte des Wortes repräsentiert jedoch nur die binären Geschlechter (männlich/weiblich), non-binäre Menschen und Personen anderer Geschlechtsidentitäten werden somit nicht angesprochen.
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Gendersternchen – Leser*innen
Das Gendersternchen, auch hochgestellter Asterisk genannt, entstammt der Programmiersprache und gilt dort als Platzhalter für alle möglichen Werte. In der Sprache gilt das Sternchen somit auch als „Platzhalter“ für verschiedenste Geschlechtsidentitäten und ist die inklusivere Form zum Doppelpunkt. Verwandte Formen sind auch das Binnen-I (LeserInnen) sowie der Unterstrich (Leser_innen). Als „fremde Zeichen“ der deutschen Grammatik unterbrechen Sternchen, Binnen-I und Unterstrich jedoch den Lesefluss und lassen Leser:innen regelrecht über Worte stolpern. Der Rat für deutsche Rechtschreibung bezeichnet sie deshalb auch als „rechtschreibwidrig“, Nutzer:innen dieser Genderform betonen jedoch eine beabsichtigte Irritation, da diese den Lesefluss stoppt und so durch eine künstliche Pause alle Geschlechter mitgedacht werden können.
Gendersprache als Barriere?
Weltweit leben etwa eine Milliarde Menschen mit Behinderung, davon kommen eine halbe Million sehbeeinträchtigte und nach der deutschen Gesellschaft der Hörbehinderten weitere 300.000 schwerhörige, beziehungsweise gehörlose Menschen allein aus Deutschland. Um allen die Teilhabe an der digitalen Welt zu ermöglichen, ist es daher wichtig, diese so barrierefrei wie möglich zu gestalten.
Der Deutsche Blinden- und Sehbehinderten Verband (DBSV) spricht sich daher zum jetzigen Zeitpunkt gegen das Gendern mit Sonderzeichen (Doppelpunkt, Gendersternchen, Binnen-I) aus, da diese nicht von Screenreadern ausgelesen werden können. Der Text liebe Leser*innen, wird für sehbeeinträchtigte Menschen so zu liebe LeserSterninnen. Hingegen dem weitverbreiteten Mythos können die Vorleseprogramme auch den Gender-Doppelpunkt nicht als Pause auslesen. Der Verband empfiehlt deshalb die Verwendung von Doppelnennungen (Leserinnen und Leser) oder neutraler Personenbezeichnungen, wie Mitarbeitende, Lesende und Veranstaltende. Aufgrund der fehlenden einheitlichen Gendervariante, gestaltet es sich für die Hersteller von Auslese-Softwares zudem noch schwer diese in ihre Programme einzufügen. Sollte sich das in Zukunft ändern, hätte das auch Auswirkungen auf die Empfehlungen des DBSV, die Gendersprache nur aufgrund der technischen Schwierigkeiten ablehnt. Die Position des deutschen Blinden- und Sehbehinderten Verbands zur Gendersprache finden Sie hier.
Gendern auf Social Media?
Zusammenfassend gibt es Gründe, die für das Gendern in den sozialen Medien sprechen, aber auch einige dagegen, wie die zunehmende Barriere für Blinde und Sehbeeinträchtigte. Auch wenn in einigen Kommentarspalten hartnäckig etwas anderes behauptet wird, bleibt es folglich jedem selbst überlassen, in Texten zu gendern oder lieber das generische Maskulinum, beziehungsweise die Doppelform zu verwenden. Wir haben Ihnen einige Tipps zusammengestellt, die Ihnen dabei helfen können, sich für eine der Sprachformen zu entscheiden.
Auf Instagram, TikTok und Co. herrscht ein großer Zeichenmangel, Bildunterschriften mit großer Zeichenzahl werden weder gelesen noch vom Algorithmus bevorzugt. Doppelnennungen verbrauchen daher im Gegensatz zur Gendersprache besonders viel Platz und wertvolle Zeichen. Auch aus SEO-Sicht – Maßnahmen zur Verbesserung der Sichtbarkeit einer Website – lohnt es sich, mit Sonderzeichen zu gendern. Der Google Algorithmus erkennt hier allerdings nur die Doppelpunkt-Variante (Leser:innen) und wertet den Genderstern als Leerzeichen. Beachten Sie außerdem Ihre Zielgruppe. Nach einer Umfrage im Auftrag des WDR, ist gendergerechte Sprache vielen der hier Befragten nicht allzu wichtig. Dennoch ist vor allem für die jüngere Generation (jünger als 35), gendergerechte Sprache ein relevantes Thema. Bei der Art des Genderns, befürworten etwa zwei Drittel der Befragten die Doppelnennung in den Medien.
Egal, ob Sie sich dazu entscheiden, auf Ihrem Social-Media-Account zu gendern oder nicht, sollten Sie diese Entscheidung nachvollziehbar begründen können. Ihre Sprache sollte daher auch mit ihren persönlichen, beziehungsweise unternehmerischen Werten übereinstimmen und diese auch stets widerspiegeln. Achten Sie zudem auf die Einheitlichkeit Ihrer Sprache: Wenn Sie in den sozialen Netzwerken gendern, sollten Sie das folglich auch auf Ihrer Website und in jeglichen sonstigen öffentlichen Auftritten tun.
Fazit
Abschließend gestaltet es sich also noch als schwer, Inhalte auf Social-Media barrierearm zu verfassen und gleichzeitig alle Personengruppen gerecht anzusprechen. Die sprachliche Inklusion einer Personengruppe bedeutet jedoch nicht automatisch den Ausschluss einer anderen.
Wir haben uns als Medienkompass-Team vorerst einheitlich dazu entschieden, die Genderform des Doppelpunktes zu verwenden, bis wir eine bessere Lösung gefunden haben. Es ist uns wichtig niemanden auszuschließen oder zu benachteiligen, unsere Inhalte richten sich an alle Menschen, unabhängig der Geschlechtsidentität.
Weitere Tipps:
Diesen „Aus Gründen der Einfachheit..“-Disclaimer finde ich richtig mies. Denn übersetzt bedeutet das nichts anderes als „Ich versteh die Problematik, aber es ist mir sowas von sch***egal“.
Hallo Mari,
wenn es uns egal wäre, würden wir uns damit gar nicht beschäftigen. Uns ist es wichtig, allen eine mediale Beteiligung zu ermöglichen und allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Leider ist das an vielen Stellen schwierig. Wir suchen dafür aktiv nach neuen Herangehensweisen und Methoden. Falls du Tipps hast, wie wir das besser machen können, würden wir uns sehr freuen.
Bei dem Satz mit der erwähnten Umfrage im Auftrag des WDR ist ein kleiner aber entscheidender Fehler enthalten. Im Artikel steht „Etwa zwei Drittel der Deutschen befürworten hier die Doppelnennung in den Medien.“ Das ist natürlich falsch. Auch wenn die Umfrage repräsentativ ist, muss der Satz heißen „Etwa ein Drittel der BEFRAGTEN…“
Auch der Satz „nur jüngere Generationen (jünger als 35) sprechen sich mehrheitlich für die Verwendung von gendersensibler Sprache aus“ ist in dem Artikel so nicht ganz richtig wiedergegeben. Eher ist gendergerechte Sprache „etwas mehr relevant“ bei den jüngeren Menschen.
Vielen Dank für Ihre wichtigen Hinweise. Wir haben den Artikel korrigiert.